Weihnachten im Jahre 0

Jetzt waren sie in Bethlehem, Josefs Heimatstadt, angelangt und fanden bloß einen alten Stall, in dem Maria ihr Kind gebären sollte. Unser Kind.

Als es dann endlich so weit war, und der Kleine zum ersten Mal schrie, erfüllte es mich mit stolz. Nicht nur, dass ich soeben wieder Vater geworden war, nein, ich hatte ein Stück von mir selbst auf die Erde schicken können.

Ich sandte einen meiner Engel, der schon immer mal auf meine wunderschöne Welt wollte und er traf zuerst auf einige Hirten, die bei seinem Erscheinen ein wenig in Furcht gerieten. Doch schnell konnte er sie überzeugen, dass sie keine Angst haben brauchten und sprach: „Fürchtet euch nicht! Siehe ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen“

Also machten sich die Hirten auf den Weg, meinen Sohn zu sehen und fanden ihn, wie prophezeit, in Windeln gewickelt in einer Krippe liegend. Und sie dankten mir aus vollem Herzen, ihnen den Heiland gebracht zu haben. Schließlich liefen die Hirten wieder in die Welt hinaus und erzählten jedem von der Geburt Jesu.

Ich fühlte mich geehrt, dass sich die frohe Botschaft so schnell verbreitete, aber es gab noch immer eine Sache, die mich von der vollkommenen Freude und Erfülltheit abhielt.

Ein Teil von mir war Mensch geworden und auf die Erde gefahren, aber ich war noch immer hier oben im Himmelreich und hatte keine andere Möglichkeit, unter den Menschen zu weilen.

Dabei war dies mein sehnlichster Wunsch. Ich wollte unter ihnen sein und leben wie sie. Ich wollte fühlen, hören, riechen, schmecken wie sie und die Herrlichkeit der Welt erleben. Ich wollte mit ihnen leiden, weinen und sie tröstend in den Arm nehmen. Schon oft hatte ich dieses Gefühl gehabt, den Himmel hinter mir zu lassen, und da unten neu anzufangen, doch da ich es sowieso nicht konnte, war mein Verlangen in den Hintergrund gerutscht. Doch in dieser Nacht kam alles wieder hervor.

Es brannte in mir wie ein kleiner Funken in einem erloschenen Lagerfeuer, den man anpustete und somit wieder eine leidenschaftliche Flamme entfachte. Fast schon schmerzlich verzerrte ich mich danach, Mensch zu werden. Ganz und gar, in Fleisch und Blut.

Mit meinem Sohn kam ich meinen Traum näher, aber wirklich erfüllen konnte ich ihn mir bisher noch nicht.

©RMH